Öffentliche Debatten über Terrorismus: Die anarchistischen Attentate in Westeuropa im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert

Bearbeiter: Fabian Lemmes

Anhand von Fallbeispielen untersucht mein Buchprojekt in vergleichender und transnationaler Perspektive die anarchistischen Attentate in Frankreich, Italien, Spanien und Deutschland in den Jahren von 1878 bis 1906. Diese waren Teil einer globalen Anschlagswelle, die infolge der beschleunigten Presseexpansion des späten 19. Jahrhunderts eine bis dahin ungekannte Wirkung entfaltete und von der politikwissenschaftlichen Forschung gemeinhin als erste Welle des modernen Terrorismus bezeichnet wird. Dass die Attentate als Strategie revolutionärer Mobilisierung scheiterten, ist bekannt. Mein Projekt untersucht sie dagegen als folgenreiche Provokationen der bestehenden politischen Ordnungen und Gesellschaften. Die Attentate hatten nicht nur weitreichende Konsequenzen für staatliche Politiken (Sicherheit, Immigration, Repression sozialer Bewegungen) und für die Wahrnehmung und weitere Entwicklung des Anarchismus. Auch führten sie zu intensiven öffentlichen Debatten über politische Gewalt und die Frage angemessener Antworten des Staats. Mein Projekt untersucht diese Reaktionen und Debatten, in denen die Grenzen legitimer Politik verhandelt und verschoben wurden. Damit hatten die Attentate, so die These, wesentliche Auswirkungen auf die Veränderung des politischen Raums im Europa des späten 19. Jahrhunderts.

Das Projekt fasst Terrorismus als Kommunikationsstrategie auf und verfolgt drei Ziele: Es fragt (1) nach der medialen und gesellschaftlichen Kommunikation über terroristische Gewalt und ihren Folgen für den politischen Raum, (2) nach den Rückwirkungen der Anschläge und Debatten auf die anarchistische Bewegung und (3) danach, welche Rolle transnationale Prozesse dabei spielten (im Verhältnis zu nationalstaatlichen oder lokalen Bezugsrahmen) und welche Auswirkungen sie hatten.